Glockenauftriebsverteilung

Hier handelt es sich eine kurze Zusammenfassung zum Thema Glockenauftriebsverteilung und Umsetzung mit Hilfe der Tiefen- und Verwindungsverteilung. Das ganze am Beipiel der Horten HII aufgezeigt. Die Abbildungen stammen aus dem Buch "Nurflügel". Zu diesem Themenkomplex sollten auch ein paar andere Seiten im Internet besucht werden, stellvertretend sei hier nurflugel.com erwähnt. Hier geht es mir allein darum, das Thema Auftriebsverteilung hoffentlich verständlich darzustellen, also denn...

Horten II
Abb. 1: Horten H II »Habicht«

Jetzt unterhalten wir uns mal kurz über so intime Details wie Auftriebsverteilungen. Ein paar Bilder aus der Bibel 2 "Nurflügel" sollten uns dabei ganz hilfreich sein.

Es liegt sicher nicht an euch, wenn ihr das Thema bisher nicht verstanden habt, die deutschsprachige Literatur zu diesem Thema ist immer so geschrieben, daß das niemand verstehen kann, außer dem Autor selbst und Leuten, die es eh schon wissen. Und daß ihr die englischen Fachbücher dazu nicht kennt, ist sicher nicht euer Fehler.

Wir schauen uns deswegen mal alles an, was man so braucht, um einen Flügel zu bauen, erstmal egal mit welcher Auftriebsverteilung. Da aber gerade die Glockenauftriebsverteilung den meisten Leuten Kopfschmerzen bereitet, habe ich sie hier aufgegriffen. Hoffentlich so, daß man das wirklich verstehen kann. Wenn nicht, liegt es an mir und dann keine Beschwerde an den himmlischen Wolkenschieber schicken, der kann wenig dafür, sondern per Briefpost an mich.

Das Thema "Verwindungsverteilung" ist der entscheidende Kniff bei der Erzeugung der Glockenauftriebsverteilung, die "Tiefenverteilung" ist mehr ein Nebenschauplatz, auch wenn es einige Leute besser wissen möchten.

Wir merken uns an dieser Stelle bitte folgende zwei Punkte (lineare Theorie):

Fazit: Sobald eine Verwindung ins Spiel kommt, müssen wir uns einen Auftriebsbeiwert suchen, bei dem der Flügel unsere Wunschverteilung erzeugen soll, bei allen anderen cA haben wir was anderes, aber sicher nicht dieselbe Verteilungsform. Die Horten Brüder haben dieses cA wegen des Thermikfluges hoch gewählt, meist um cA=1,0 rum.

Die Gebrüder Horten haben sich eine spezielle Form der Auftriebsverteilung überlegt, damit man die Seitenflächen weglassen kann. Diese Verteilung könnte man allein über eine geeignete Tiefenverteilung erreichen. Leider hat die ein Abrißverhalten, daß uns nicht nur schlecht, sondern richtig schlecht wird. Schon im Basiszustand hat sie einen Außenflügelabriß, weil die Außentiefe dafür Null sein muß! Dann wäre zwar die Verteilung immer erfüllt, aber wir könnten nicht fliegen! Also können wir das nur mit Hilfe von Verwindung realisieren. Genug der Vorrede...

 

Auftriebsverteilung Horten H-II L

Abb
Abb. 2: Tiefenverteilung l(y)

Abb
Abb. 3: Auftriebsverteilung HII g(y) = sin³q

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Abb. 4: Auftriebsbeiwertsverteilung ca(y)

Abb
Abb. 5: Verwindungsverteilung a(y) bzw. Schränkungsverteilung

Bildnachweis: Nurflügel, Seiten 54, 233, 234

 

Vorgehensweise

Wir gehen jetzt exakt so vor, wie die Gebrüder Horten bei der HII L (für Insider: Vorgehen durch Lösung der sogenannten "ersten Grundaufgabe" nach L. Prandtl). Dabei betrachten wir den Auftriebsbeiwert (cA=1), für den die Auftriebsverteilung sin³d genau erfüllt sein soll. Jetzt geht es los:

  1. Damit ich Nurflügel so wie die Horten bauen kann, ist eine Glockenauftriebsverteilung vonnöten. Die beiden haben sich für die Funktion sin³d als Auftriebsverteilung g(y) bei der HII entschieden (Abb. 3). Das Integral über diese Fläche mal zwei (Symmetrie) entspricht genau unserem Auftrieb A, der unser Fluggerät in der Luft hält.
  2. Des weiteren haben sie sich eine Tiefenverteilung l(y) ausgedacht, die ihnen gefallen hat (Abb. 2), wir nehmen sie daher als gegeben hin.
  3. Daraus ergibt sich über die Beziehung g(y) = ca(y) * l(y) exakt eine Auftriebsbeiwertsverteilung ca(y), die das erfüllen kann (Abb. 4). Bis hierhin kann das jeder mit einem Bleistift, Geodreieck und Taschenrechner lösen, das genügt.
  4. Die Auftriebsbeiwertsverteilung ca(y) wiederum kann nur durch exakt eine lokale Anstellwinkelverteilung a(y) (Anstellwinkel+Verwindung), erfüllt werden. Bums, da haben wir den Salat und den sehen wir in Abb. 5. Für das letzte Bild haben wir leider keine einfache Gleichung, das läuft über die sogenannten Traglinien- oder Wirbelleiterverfahren, dann kommt das Abb. 5 als Ergebnis dieser Rechnung raus und wir sind glücklich.

Multhopp, Weissinger, Truckenbrodt und wie sie nicht alle heißen oder auch Lippisch/Schrenk sind die Namen der Verfahren, mit denen man zu Abb. 5 kommen kann. Lippisch/Schrenk sollte man besser nicht nehmen, aber das haben die Gebrüder Horten angewendet, weil es damals empirisch bewährt war. Abgesehen von dem Pfeilungseffekt wird alles berechnet, das haben sie schnell am sogenannten "Mitteneffekt" bemerkt, mehr zu dem Thema ist beim Pfeilungseffekt zu finden.

 

Noch ein paar Details am Rande...

Im Abb. 5 seht ihr also, was die Horten als Verwindung wirklich gebaut haben, außen irgendwas von -15°. Jetzt versteht ihr auch meine Annahme der Näherung, indem ich sage, ab etwa 25-33% Spannweite beginnt ihr mit der Verwindung (=Schränkung), das in der Mitte können wir nämlich mit konstant 0° annähern (y=0 bis max. y=0,33, bitte nicht mehr wegen des Abrißverhaltens). Die Horten HII hat in der Mitte eine positive Verwindung eingebaut, runde 2-3°.

Insgesamt hat der Flügel also auf die Wurzel bezogen etwa -18° bis -20° Verwindung. Da bekommt man als Aerodynamiker normalerweise Beulenpest und Asthma, aber das ist eben die Glockenauftriebsverteilung bei hohem Auslegungs-ca. Das ist das cA, bei dem die geplante Auftriebsverteilung exakt erfüllt ist. Das Flugzeug fliegt bei diesem cA ohne Klappenausschlag ausgetrimmt.

Schnelle Modelle brauchen wegen des kleineren Auslegungs-cA weniger Verwindung, die gewählte Glocke ist bei ihnen bei kleineren cA erfüllt, bei größeren oder kleinerem cA dagegen nicht mehr. Daher die -4...-15°, die ich da vorschlage. Je schneller ein Modell fliegen soll, desto kleiner ist das Auslegungs-cA, desto weniger Verwindung ist notwendig. Außerhalb dieses Punktes liege ich aber jeweils kräftig daneben. Da die Nachteile im Speedflug mit langsamer Auslegung (viel Verwindung) größer sind als umgekehrt, haben sich schnellere Auslegungen bei den RC-Modellen durchgesetzt, weil Wölbklappen den Rest erledigen, wenn wir versehentlich mal langsamer als geplant unterwegs sind...

Alles klar!?! So, mehr schreibe ich nicht, in Ruhe lesen, erstmal sacken lassen... So, ihr habt es überstanden, Erklärungsversuch beendet! Bei wem das Interesse erst jetzt so richtig gewckt wurde, dem kann ich die Lektüre des Buches "Nurflügel" empfehlen, aus dem auch die obigen Abbildungen stammen. Bedenkt bitte, daß im Buch der Stand der Technik aus den 40er Jahren repräsentiert wird, speziell im Bereich der Rechenverfahren.

 

Nachschlag

Die Horten Nurflügel hatten allesamt Widerstandsseitenruder und das aus gutem Grund: Die Glockenauftriebsverteilung stellt nur einen einigermaßen kommoden Geradeausflug sicher, aber benötigt im Manöverbereich (hohe ca-Werte) doch die Unterstützung eines Widerstandsseitenruders. Kleine, schnelle Modelle können drauf verzichten, klar. Große, langsame Nurflügel sollten entweder über ein ausgeklügeltes Mehrklappensystem verfügen, das die entsprechende Funktion übernehmen kann, oder eben Widerstandsseitenruder in irgendeiner Form besitzen. Der Vorteil dieser konstruktiven Maßnahme ist darüber hinaus darin zu sehen, daß auch etwas größere Schwerpunktrücklagen ohne Kontrollprobleme geflogen werden können, also weniger als 17% Stabilitätsmaß. Der Leistungsgewinn ist beträchtlich, das Kurvenflug Handling dank der Widerstands-Seitenruder noch akzeptabel.

 

Quellen- und Literaturnachweis